Wie Extrem ist die Rechte in Europa: eine Twitter-Analyse

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Dieser Blogeintrag enthält einen Abschnitt aus dem vollständigen Bericht, verfügbar in englischer und deutscher Sprache [Ed.].

Von Reem Ahmed und Daniela Pisoiu

Insgesamt 381.912 Tweets wurden über die Twitter-API (Programmierschnittstelle) von 175 EU-weiten Accounts gesammelt, die als rechtsextremistisch  identifiziert wurden (insbesondere Accounts mit offen neo-nazistischen und White Supremacist Themen). Die Tweets wurden Ende September 2016 erfasst, und die Stichprobe umfasst Tweets vom 1. September 2015 bis 30. September 2016. Um mögliche Überschneidungen zu untersuchen, haben wir die häufigsten Hashtags, das gleichzeitige Vorkommen von Hashtags sowie URLs untersucht. Zudem haben wir die Sperrung von Accounts untersucht.

Ziel dieses explorativen Teils der Studie war es, einen flüchtigen Einblick in einige der Überschneidungen in der rechtsextremen Online-Twitter-Community in Europa zu gewinnen. Um diese Überschneidungen zu analysieren, haben wir uns die verschiedenen Hashtags und URLs der 175 Konten angesehen. Hashtags sind nützlich, da sie die Benutzer zu einem bestimmten Thema führen und eine vermeintliche „virtuelle Gemeinschaft interessierter Zuhörer“ einbeziehen (Zappavigna 2011: 791). Hashtags sind eine Möglichkeit, mit verschiedenen Nutzern zu kommunizieren und sich insbesondere an Debatten, um dieses Hashtag zu beteiligen, aber sie wurden auch von Extremisten genutzt, um moderate Debatten zu infiltrieren (Berger 2016; Graham 2015). Eine Methode, um Überschneidungen zu betrachten, besteht darin, das Auftreten von gleichzeigen Hashtag-Vorkommen abzubilden – das heißt, wenn zwei Hashtags innerhalb desselben Tweets verwendet werden. URLs sind ebenfalls hilfreich, da sie zeigen, auf welche Plattformen und Nachrichten-Websites solche Communities verweisen.

Von den Tweets enthielten 23,64% Hashtags, und von den Tweets mit Hashtags enthielten 44,4% mehr als ein Hashtag und 35,9% waren mit URLs verknüpft. Englisch war die am prominentesten vertretene Sprache (32,2%), gefolgt von Spanisch (16,9%) und Deutsch (15%). Dies spiegelt die in der Stichprobe vertretenen Länder wider, da die meisten Konten ihren Ursprung in Spanien (18,3%) hatten, gefolgt vom Vereinigten Königreich und Deutschland (je 12,6%). Es ist wichtig zu beachten, dass es nicht möglich war, genau zu bestimmen, woher 8,6% der Stichprobe stammen, da diese Benutzer ihren Standort nicht preisgaben. Diese Accounts twitterten meist auf Englisch, machten aber keine eindeutige Angabe über ihren Standort und twitterten über allgemeinere Themen wie Antisemitismus (Holocaust-Leugnung, „jüdische Weltverschwörung“), Verteidigung Europas und der europäischen Rasse und „weißer Genozid“. Der hohe Anteil an spanischen Accounts ist ein besonders interessantes Ergebnis, da der rechtsextreme Aktivismus in Spanien – bis vor kurzem – im Vergleich zu anderen europäischen Staaten als „Randphänomen“ angesehen wurde (Encarnación 2019). Der jüngste Wahlerfolg der Rechtsaußen-Partei „Vox“ hat jedoch das Gefühl der Spanier gedämpft, gegen Rechtspopulismus immun zu sein, da es der Partei gelungen ist, 24 Vertreter im spanischen Parlament mit 10% der Stimmen bei den nationalen Wahlen am 28. April 2019 zu entsenden.

Tabelle 1 zeigt die Top Ten der Hashtags im Datensatz. Am häufigsten wurde #whitegenocide verwendet, gefolgt von #afd und #merkel. Das ist nicht verwunderlich, denn die Flüchtlingskrise – und das Engagement von Bundeskanzlerin Merkel – waren in dieser Zeit auf ihrem Höhepunkt. Neben Merkel und der AfD gibt es weitere Hashtags, die sich auf die nationale Politik beziehen, wie #alvde17 und #brexit, die wiederum nicht überraschen, da Spanien und Großbritannien in der Stichprobe prominent vertreten waren. Die Hashtags #islam und #isis wurden ebenfalls weit verbreitet, ebenso wie #eu – überwiegend negativ. Darüber hinaus waren #trump, #maga (Make America Great Again) und die US-Wahl im Allgemeinen beliebte Themen im Datensatz, da Trump als Champion gegen die „verlogene“ Elite angesehen wurde, die Hillary Clinton während der US-Wahl 2016 vertreten sah. Es gab auch viele Bezugnahmen auf Ausdrucksformen der Alt-Right wie Pepe der Frosch, und viel Trolling um das Hashtag #debatenight. Dies bezieht sich auf die Ergebnisse von Ebner und Davey (2017), da es eine gewisse Zusammenarbeit zu geben schien innerhalb der transnationalen Außenrechtszene bei einer Auslandswahl. Es gibt auch Ähnlichkeiten mit Bergers (2018) Ergebnissen, da „MAGA“ und Wörter im Zusammenhang mit „Trump“ in Bezug auf Hashtag, Profilwort und Wortpaarfrequenz sehr hoch abschneiden. Das Hashtag #whitegenocide gehörte auch zu Bergers (2018:33) Top 25 Hashtags mit einer Gesamtanzahl von 2.983. Diese Zusammenhänge und Ähnlichkeiten sind bedeutsam und zeigen, wie der US-Kontext und die Akteure internationale rechtsäußere Erzählungen voranzutreiben scheinen.

Tabelle 2 zeigt die Top 20 der gleichzeitigen Hashtag-Vorkommen, die sich aus dem Datensatz ergeben haben. Abgesehen von den eher „wahrscheinlichen“ gleichzeitigen Vorkommen mit „weißen“ identitätsbezogenen Hashtags, wie #antiwhite, #diversity, #altright und #whitepeople, wurde #whitegenocide auch bei populistischeren Themen wie #trump, #ukip und #brexit verwendet. Darüber hinaus schienen diese Berichte nicht nur Donald Trump zu unterstützen, sondern ermutigten auch ihre Anhänger, für die AfD in Deutschland zu stimmen. Damit standen die Diskussionen über Flüchtlinge deutlich im Vordergrund und die #merkel und die regierende Koalition der #cdu und #spd wurden als zentrale Elemente dieser Debatte angesehen, wobei die #afd als angemessenes Gegenstück zu den Mainstream-Parteien dient. Die Verwendung von Mainstream-Partei-Hashtags wurde wahrscheinlich verwendet, um Diskussionen über diese Parteien auf Twitter zu infiltrieren (vgl. Graham 2015). Das #afd wurde auch zusammen mit #pegida zur gegenseitigen Unterstützung getwittert.

Die Mehrheit der URLs innerhalb des Datensatzes ist mit anderen Twitter-Seiten und Tweets verknüpft. Es gab auch eine hohe Anzahl von Out-Links zu YouTube- und Facebook-Seiten. Rechtsgerichtete und explizit rechtsaüßere Mainstream-Nachrichtenseiten, wie z.B Mail Online, Die Welt, Daily Express, Breitbart, Russia Today, und Sputnik News wurden ebenfalls regelmäßig verlinkt, um die in den Tweets präsentierten Beweise zu „untermauern“ – vor allem über Flüchtlinge und Einwanderer. Ähnliche Ergebnisse wurden auch in Bergers (2018) Studie wiedergegeben. Neben Nachrichtenportalen und Social-Media-Seiten gibt es eine Reihe von Tweets, die auf Seiten und Blogs verweisen, die mit prominenten rechtsextremen Aktivisten wie David Duke vom Ku-Klux-Klan (KKK) und mit der rechtsextremen Website „Daily Stormer“ in Verbindung stehen. Verweise zur Online-Publikation der Neuen Rechten Junge Freiheit waren ebenfalls offensichtlich. Im Allgemeinen scheint es, dass die Tweets aus diesen Accounts als Mittel zur Verbreitung von Informationen verwendet wurden, anstatt explizit zu Gewalt aufzurufen. In diesem Sinne wurde die Mobilisierung vor allem zur Förderung rechtspopulistischer Parteien, Figuren und Themen wie AfD, Trump und Brexit genutzt. Außerdem gab es ein allgemeines Gefühl der Verteidigung von europäischer Kultur, Identität und Rasse durch die Schaffung einer Darstellung weißer nordischer Wurzeln – eine gemeinsame Rhetorik innerhalb der White Supremacist-Bewegung. Darüber hinaus waren einige der Beiträge explizit antisemitisch, andere nutzten die Plattform auch, um den Holocaust zu leugnen.

Die Hashtags, gleichzeitigen Hashtag-Vorkommen und URLs sind relevant, da sie einen Einblick in die Themen geben, über die die europäische extreme Rechte twittert. Insbesondere das gleichzeitige Hashtag-Vorkommen Zeigen auch Taktiken der Ideologie übergreifenden Vermischung sowie potenzielles Trolling. Darüber hinaus unterstützt die extreme Rechte offen rechtspopulistische Parteien, Themen und Personen. Dies ist wichtig, da es zeigt, dass radikale Parteien und Themen bei der extremeren Rechten ankommen, auch wenn erstere ständig jede ideologische Affinität zu letzterer leugnen.


Reem Ahmed ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik der Universität Hamburg (IFSH) und arbeitet im Rahmen von VOX-Pol. Sie ist außerdem Doktorandin an der Albrecht Mendelssohn Bartholdy Graduate School of Law (AMBSL) der Universität Hamburg. Auf Twitter @RAhmed105.

Dr. Daniela Pisoiu ist Senior Researcher am Österreichischen Institut für Internationale Politik (OIIP), Wien und Mitglied von VOX-Pol. Sie promovierte an der University of St Andrews, Centre for the Study of Terrorism and Political Violence und hat Feldforschung zum Thema Radikalisierung in Österreich, Deutschland und Frankreich sowie anderen europäischen Ländern durchgeführt. Auf Twitter @DPisoiu.

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